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EINE THERAPIE DES WERDENS

Beatrix Hachtel

Die Heileurythmie ist eine auf Entwicklungsprinzipien basierende ganzheitliche Bewegungstherapie, die weltweit mit erstaunlichen therapeutischen Erfolgen angewendet wird.

Sie hat ihre Wurzeln in der Eurythmie, die ab 1912 von Rudolf Steiner zusammen mit jungen Menschen entwickelt wurde. Im Laufe der folgenden Jahre wurden die verschiedenen Berufsfelder aus den Bedürfnissen der Zeit heraus ausgebildet: die Kunsteurythmie, die Pädagogische Eurythmie, die Heileurythmie und die Eurythmie in Arbeitsfeldern. 1921 legte Rudolf Steiner im Heileurythmiekurs vor ÄrztInnen und mit EurythmistInnen die medizinischen und therapeutischen Grundlagen dieses speziellen Bewegungsberufes dar. Ihre Besonderheit ist, dass die eurythmische Bewegung selbst durch Bewusstseins- und Bewegungsschulung zu einem Heilmittel wird, das wie eine therapeutische Substanz wirkt. Richtig angeleitet, können die Patienten erleben, dass sie durch diese Bewegungen an ihrer eigenen Heilung unmittelbar beteiligt sind.

In den darauffolgenden Jahren wurde der Beruf in den klinischen, pädagogischen und heilpädagogischen Feldern von eurythmisch geschulten ÄrztInnen und HeileurythmistInnen weiter ausgearbeitet. Die dabei gemachten therapeutischen Erfahrungen überzeugten und begeisterten Ärzte und Patienten gleichermaßen. So kam es in den kommenden Jahrzehnten, von Europa ausstrahlend, zu einer umfangreichen internationalen Verbreitung. Neben Angaben Rudolf Steiners zu einzelnen Krankheitsbildern wurden anhand der gemachten Erfahrungen neue therapeutische Gebiete erschlossen und in entsprechenden Fachkliniken ab 1921 weiter ausgearbeitet. Diese Entwicklung wurde zunächst wesentlich von den Ärztinnen am Klinisch-Therapeutischen Institut in Arlesheim/CH[1] getragen. Neben der inneren Medizin in Arlesheim wurde die Anwendung in der Psychiatrie[2], an Waldorfschulen[3], in einer Vielzahl von Einrichtungen der Heilpädagogik[4] sowie die Augenheileurythmie[5] entwickelt. Ab den 60er Jahren führten Klinikneugründungen und Forschungsgemeinschaften zur weiteren Ausarbeitung z.B. der Onkologie[6], der Zahnheileurythmie[7], der Psychosomatik und Kinder-Jugendpsychiatrie[8], der Kardiologie[9], der Geburtsvorbereitung[10] und der salutogenetischen und präventiven Anwendung.

Nach Rudolf Steiners Tod wurde der Beruf von Menschen mit unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkten weiter entwickelt, wodurch sich auch verschiedene methodisch-didaktische Ansätze herausbildeten, die bis heute die Ausbildungslandschaft prägen. In den 1930er Jahren gab es bereits mehrjährige, an der klinischen Praxis orientierte Ausbildungen zum Heileurythmisten und Fortbildungskurse für praktizierende Ärzte. Durch die damit gemachten Erfahrungen entwickelte sich die Ansicht, dass eine eurythmisch-künstlerische Bewegungsschulung zur Berufsausübung der Therapeuten notwendig sei, ein Ansatz dem die meisten Ausbildungen fortan folgten[11]. Ein Sonderweg war die Ausbildung von HeilpädagogInnen zu HeileurythmistInnen in der Heilpädagogik[12]. In den 70er Jahren bildete sich dann der bis heute weitgehend übliche Standard eines 5,5 Jahre dauernden Ausbildungsganges heraus. Im neuen Jahrtausend können Ärzte im Rahmen von Weiterbildungen heileurythmische Qualifikationen erwerben und seit 2008 führt der Ausbildungsgang an der Alanus Hochschule in Alfter zum Master of Arts in Heileurythmie. Durch die Stellung der Komplementärmedizin in der Schweiz ist die Heileurythmie dort ein staatlich anerkannter und in die therapeutische Landschaft integrierter Beruf. Dies führt ab 2020 zu einer weiteren Neustrukturierung der Heileurythmie-Ausbildung Dornach, die in 4 Jahren zum Berufsabschluss führt.

Mit Beginn der 90er Jahre entstand eine Vielzahl an Fachpublikationen zu verschiedenen Fachgebieten, in denen die gesammelten Erfahrungen aufgearbeitet wurden[13]. Zugleich koordinierten sich Forschungsbemühungen um die verschiedenen Forschungsinstitute der Anthroposophischen Medizin[14]. Diese führen bis heute zu zahlreichen publizierten Studien im Bereich der Grundlagen- und Anwendungsforschung[15]. Hinzu kommen inzwischen über 150 Masterarbeiten, zum Teil von langjährig praktizierenden Kollegen.

Nach dem Milleniumswechsel begannen sich die Kollegen, impulsiert durch die Tätigkeit von Angelika Jaschke[16], international verstärkt zu vernetzen, fachspezifische Zusammenschlüsse zu bilden und Berufsverbände zu gründen, was der inhaltlichen und fachlichen Arbeit weltweit starken Auftrieb gab. Heute sind weltweit ca. 2000 Heileurythmisten tätig, die sich in 43 Ländern organisiert und teilweise zu Berufsverbänden zusammengeschlossen haben[17]. Sie eint der Enthusiasmus für eine Therapie, die den Patienten auf seinem Weg "zu Werden“ unterstützt und begleitet.


Anmerkungen:

[1] Klinik Arlesheim/CH, gegründet 1921 als Klinisch-Therapeutisches Institut von Dr. Ita Wegman. Für die Ausarbeitung der Heileurythmie wesentlich verantwortlich waren Dr. med. Margarethe Kirchner Bockholt, Dr. med. Julia Bort (Heilpädagogik) und Dr. med. Ilse Knauer (Augenheilkunde).

[2] Die Friedrich Husemann Klinik, Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, wurde 1930 als Sanatorium Wiesneck von Dr. med. Friedrich-Husemann in Buchenbach bei Freiburg im Breisgau begründet.

[3] Zunächst vor allem durch die Eurythmistin und Heileurythmistin Elisabeth Baumann an der Freien Waldorfschule Stuttgart, weitere Waldorfschulen folgten mit der Einrichtung von Therapiebereichen.

[4] ZB im Sonnenhof als Dependance des Klinisch-Therapeutischen Instituts Arlesheim/CH, durch Dr. med. Julia Bort ab 1924.

[5] Dr. med. Ilse Knauer, ab Mitte der zwanziger Jahre, s.o.

[6] ZB ab 1975 in der Klinik Öschelbronn in Niefern-Öschelbronn, Zentrum für integrative Onkologie, Schmerz – und Palliativmedizin

[7] Durch Zahnarzt Dr. Claus Haupt und die Heileurythmistin M Sc Mareike Kaiser

[8] U.a. Filderklinik in Filderstadt-Bonlanden, Publikationen zB durch Gisela Bräuner-Gülow

[9] Z.B. Herzschule, entwickelt im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Berlin

[10] Mechthild Groh-Schulz, Geburtsvorbereitung in der Filderklinik

[11] Isabella de Jaager am Goetheanum in Dornach/CH ab 1935

[12] Susanne Müller-Wiedemann, Ausbildungskurse für Heilpädagogen in heileurythmischer Tätigkeit, ab 1983

[13] Beatrix Hachtel, Bibliographie Heileurythmie, NMM-Verlag 2007 und Publikationen 2005-2014 unter https://www.liebe-zur-erde.eu/publikationen.html

[14] https://eurythmytherapy-medsektion.net/forschung-und-literatur/wie-forschen-wir

[15] Beatrix Hachtel, Heileurythmie als Geisteswissenschaft, Pro Business 2017

[16] Angelika Jaschke, 2000 bis 2016 Koordination der Heileurythmie in der Medizinischen Sektion am Goetheanum, Dornach/Schweiz.

[17] https://eurythmytherapy-medsektion.net/